News - Neue Gliom-Leitlinie
Leitlinie zur Behandlung von Gliomen aktualisiert
Die aktualisierte und vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie von Gliomen im Erwachsenenalter ist von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie am 06.07.2021 veröffentlicht worden. Die Inhalte einer medizinischen Leitlinie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren. Neben den Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie oder der Deutschen Krebsgesellschaft war erstmals die Deutsche Hirntumorhilfe als Patientenvertretung an der Erstellung beteiligt.
Die neue Empfehlung der Fachgesellschaften in Bezug auf Gliome umfasst alle wesentlichen Informationen zu Diagnostik, Therapie, Nachsorge und Rehabilitation bei erwachsenen Patienten. Wichtigste Neuerung sind molekulare Diagnosekriterien bei der Klassifizierung der Tumoren, die für die Prognoseabschätzung zunehmend an Bedeutung gewinnt, aber auch für die rechtzeitige Initiierung zielgerichteter Therapien und für die Definition neuer Subgruppen.
Neuerungen im Bereich der Diagnostik
Insbesondere bei den Glioblastomen werden ergänzend zur Standard-Bildgebung und Histopathologie nach Biopsie oder Resektion molekulare Marker ermittelt, wie beispielsweise Mutationen der Isozitratdehydrogenase (IDH). Die DNA-Analyse von Tumormaterial ermöglicht eine weitere Unterscheidung von Gliom-Subtypen. Durch die so verbesserte diagnostische Tumorcharakterisierung soll die Therapie optimiert und personalisiert werden.
Die in der WHO-Klassifikation von 2016 noch berücksichtigten Oligoastrozytome und die Gliomatosis cerebri gelten nicht mehr als eigene Tumorentitäten, da sie keine spezifischen Genmuster besitzen. Die neue WHO-Klassifikation der Hirntumore soll im Herbst 2021 erscheinen.
Ergänzungen bei Gliomen der WHO-Grade 2 und 3
Nach den Ergebnissen der EORTC-22033-Studie fanden sich beim Vergleich einer Chemotherapie mit Temozolomid und der Strahlentherapie hinsichtlich des Gesamt- sowie progressionsfreien Überlebens keine Unterschiede.
Die RTOG-9802-Studie bestätigte die Überlegenheit der Strahlen-Chemotherapie mit Procarbazin, Lomustin und Vincristin gegenüber der Strahlentherapie alleine.
Die EORTC-26053-Studie ergab, dass bei IDH-mutiertem WHO-Grad-3-Gliom ohne 1p/19q-Deletion die Bestrahlung, gefolgt von zwölf Zyklen einer Erhaltungstherapie mit Temozolomid das Überleben gegenüber einer alleinigen Bestrahlung verlängert.
Patienten mit fortschreitenden niedriggradigen Gliomen, die eine sogenannte BRAF-V600E-Mutation aufweisen, könnten von der medikamentösen Behandlung mit einem Proteinkinase-Inhibitor profitieren.
Erstlinientherapie beim Glioblastom
Bei Patienten mit MGMT-Promotor-methylierten Glioblastomen kann in der Primärtherapie die Kombination von Lomustin (CCNU) und Temozolomid das Überleben verbessern.
In Bezug auf die Ergebnisse der EF-14-Studie und den Einsatz von elektrischen Wechselfeldern führen offene Fragen zur Wirkungsweise, Unklarheiten beim Studiendesign sowie die begrenzte Akzeptanz der Patienten und gegensätzliche Daten zu den Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität weiterhin zu Diskussionen der beteiligten Fachkreise.
Nach den Ergebnissen der EORTC-26062-Studie war bei der Primärbehandlung älterer Glioblastom-Patienten die hypofraktionierte Strahlenchemotherapie mit Temozolomid mit bis zu zwölf Erhaltungszyklen der alleinigen Strahlentherapie überlegen. Beim Vorliegen einer MGMT-Promotormethylierung kann nach den Ergebnissen der NOA-08-Studie eine alleinige Radio- oder Chemotherapie erfolgen.
Es gibt keine Evidenz für einen Vorteil mittels Erhöhung der Temozolomid-Dosis in der Radio-Chemo-Standardtherapie oder einer Verlängerung der Erhaltungschenmotherapie bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom.
Rezidivtherapie beim Glioblastom
Bei progredientem Glioblastom gibt es keine Evidenz zur Fortsetzung einer laufenden Therapie.
Der Multikinaseinhibitor Regorafenib war in der randomisierten Phase-II-Studie REGOMA bei Patienten mit der ersten Progression gegenüber CCNU sowohl hinsichtlich des progressionsfreien als auch hinsichtlich des Gesamtüberlebens überlegen.
Der Einsatz von elektrischen Wechselfeldern in der Rezidivtherapie des Glioblastoms konnte keinen Vorteil gegenüber der üblichen Behandlung zeigen.
Bei der Behandlung von Glioblastom-Rückfällen verlängert die Kombinationstherapie mit Lomustin und dem Angiogenesehemmer Bevacizumab das Gesamtüberleben nicht.
Experimentelle Therapien sollten grundsätzlich im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden.
Information und Aufklärung von Patienten
Gliompatienten sollen im ärztlichen Gespräch in verständlicher Sprache über die in der Leitlinie beschriebenen Therapieoptionen, deren Nutzen und Risiken sowie deren mögliche Auswirkungen auf die Lebensführung und Lebensqualität informiert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund möglicher neurokognitiver Einschränkungen des Patienten soll der Wunsch erfragt werden, das Beratungsgespräch gemeinsam mit einer Vertrauensperson zu führen.
Die Aufklärung des Patienten sollte mit zusätzlichen Informationsmaterialien wie einer Patientenmappe und tumorspezifischen Patienteninformationen unterstützt werden, die frei vom Sponsoring pharmazeutischer und medizintechnischer Industrie sein müssen.
Aufgrund des Mangels an regionalen Ansprechpartnern für die seltene Erkrankung Hirntumor ist auf überregionale Selbsthilfeangebote wie IKOS - Informations- und Kontaktstelle für Hirntumor-Selbsthilfe unter Tel. 03437.999 68 68 und Forum-Hirntumor unter https://forum.hirntumorhilfe.de explizit hinzuweisen.
Gliompatienten sind von Beginn an über klinische Studien zu informieren.
Bei medikamentöser Behandlung und Methoden außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung sind die Patienten über die Möglichkeiten und Risiken aufzuklären, die die Behandlung im Off-label-Use mit sich bringt.
Quelle
Wick W. et al., Gliome, S2k-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. (abgerufen am 28.07.2021)
Weitere Informationen für Hirntumorpatienten und Angehörige
zurück zur Startseite des News-Tickers